Ich mache Tierversuche

Soweit die Realität. Ich muss ein furchtbarer Unmensch sein, ein unmoralischer Barbar und Tierquäler. Egal was ich nach diesem Satz sage, es wird nicht mehr gehört. Alles andere wird ausgeblendet und dass ich an neuen Arzneimitteln gegen chronische Schmerzen forsche, gerät dabei in den Hintergrund. Tierversuche, und dann auch noch Schmerzversuche. Gleich erinnert man sich grausame Bilder von PETA, die jemand bei Facebook gepostet hat, und auf denen man verstörte Tiere in dunklen Kellern oder mit offenen Wunden entsetzlich leidend vor sich hinsiechen sieht. Dass die Realität, zumindest in Westeuropa und in den USA/Kanada ganz anders aussieht, interessiert nach diesem Satz niemanden.

In der Debatte um die Versuche des Neurobiologen Andreas Kreiter, sind extreme Tierschützer nun einen Schritt weiter gegangen und haben folgenden Satz veröffentlicht: „Tierexperimentatoren sind Wesen besonderer Art – man sollte sie nicht leichtfertig Menschen nennen.“ Mit diesem Satz wird uns Tierexperimentatoren die Menschenwürde abgesprochen. Das ist der erste Schritt zur Legitimierung von Gewalt, nach dem gleichen Prinzip rechtfertigen Terroristen ihre Gewalt gegen Andersdenkende, und auf einen solchen Satz sollte ein Aufschrei aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft kommen. Dieser Satz entlarvt die edlen moralischen Werte, mit denen sich extreme Tierschützer gerne schmücken, als brutale, menschenverachtende Ideologie.

Es ist sehr einfach etwas von vorneherein zu verurteilen, ohne sich eingehend mit dem Thema zu befassen, und meiner Erfahrung nach machen sich nur wenige Tierschützer die Mühe zu recherchieren, wie Tierversuche ablaufen, Labortiere gehalten werden und ob es vielleicht auch Erfolge aus der Forschung gibt. Denn dafür müsste man sich ja mit dem Thema auskennen.

Ich arbeite zurzeit in einem Labor, in dem in den letzten zwei Jahrzehnten 15 Patente für neue Schmerztherapien eingereicht wurden. Einige dieser neuen Therapien sind bereits in klinischer Erprobung. Wenn einem chronischen Schmerzpatienten damit geholfen werden kann, dann rechtfertigt das meiner Meinung nach alle dafür durchgeführten Tierversuche.

Ich arbeite in einer der modernsten Tieranlagen der Welt mit hygienischen Standards, um die uns jedes Krankenhaus beneiden würde. Immer wenn ich die Aufnahmen von PETA aus dreckigen dunklen Kellern sehe, frage ich mich, in welchem Land und in welcher Gosse diese Aufnahmen entstanden sein sollen. Sicherlich nicht in der EU oder in den USA, denn hier gelten strenge hygienische Haltungsbedingungen für Labortiere. Aber PETA geht es ja bekanntermaßen nicht darum zu informieren, sondern zu schockieren.

Ich möchte hier mit ein paar Gerüchten zum Thema Tierexperimente aufräumen.

  1. Tierversuche sind nicht mehr notwendig, man kann alles in vitro an Zelllinien testen

Falsch. Wir versuchen zwar tatsächlich so oft wie möglich auf Zelllinien zurückzugreifen, aber wenn man in der medizinischen Forschung arbeitet, wo es darum geht neue Medikamente zu entwickeln und Mechanismen bei der Entstehung von Krankheiten zu verstehen, dann muss man dies auch im Tier testen. Denn man muss zeigen, dass ein Mechanismus auch in vivo, also im lebenden Organismus eine Rolle spielt und physiologisch relevant ist. Dafür sind Tierversuche nach wie vor notwendig. Kein Gutachter würde einem neuen therapeutischen Ansatz ohne Daten aus in vivo Versuchen Glauben schenken, denn die Unterschiede zwischen Zelllinien in der Kulturschale und dem menschlichen Organismus sind beträchtlich. Wenn man also Rückschlüsse auf die Effekte im Organismus ziehen will, ist man auf Primärzellen von Tieren angewiesen, und wenn wir Erkrankungen verstehen wollen, um sie zu therapieren, gibt es in absehbarer Zeit keine Alternative zu Tierversuchen.

  1. Was haben uns Tierversuche bisher schon gebracht?

Jedes Medikament und jeder Impfstoff, der auf dem Markt ist, wurde an Tieren getestet. Die Tatsache, dass wir uns heute alle zehn Jahre eine Injektion geben lassen können, und danach annähernd immun gegen zahlreiche Krankheiten sind, ist ein wahnsinniger Luxus, um den uns unsere Vorfahren beneiden würden. Noch in den 1940er-Jahren gab es in den USA und in Europa ganze Polio-Epidemien, an denen viele Kinder und auch Erwachsene gestorben sind. Wenn sie überlebt haben, trugen sie meist schwere körperliche Schäden davon. Keine 20 Jahre später wurde ein Impfstoff gegen Polio entwickelt, und heute ist diese schreckliche Krankheit in weiten Teilen der Welt annähernd ausgerottet.

Wenn wir Migräne haben, sind wir dankbar für Triptane, wenn wir einen hohen Cholesterinspiegel haben, können wir dagegen Statine nehmen, und wenn wir zu kräftig gefeiert haben, beseitigt eine Ibuprofen den Kopfschmerz. All diese Medikamente wurden an Tieren getestet, bevor sie in klinischen Studien Menschen verabreicht wurden. Die Erkenntnis, dass diese Substanzen erwiesene Wirkungen haben, und dass wir sie in den entsprechenden Dosierungen bedenkenlos nehmen können, verdanken wir Tierversuchen.

  1. Die Tiere leiden permanent und haben Schmerzen 

Zu etwa 90% der Zeit sind Versuchstiere ganz normal in ihren Käfigen. Der eigentliche Versuch oder die eigentliche Messung findet meist nur in kurzen Zeiträumen statt. Deshalb wird (in Europa und den USA) sehr viel Wert auf die Haltung gelegt. Dazu zählen Hygiene, Gruppenhaltung bei sozialen Tieren und „Enrichment“, also den Tieren ein behagliches Zuhause zu schaffen, indem man z.B. Material zum Nestbau oder zum Spielen auslegt. Sollten Tiere bei einem Versuch deutliche Anzeichen von Schmerzen aufweisen, bekommen sie Analgetika. Ich arbeite hauptsächlich mit Mäusen und habe bei meinen Tieren immer das Gefühl, dass sie sehr fidel und neugierig sind und sich wohl fühlen. Da Mäuse soziale Tiere sind, werden sie nicht alleine in Käfigen gehalten, sondern es wird darauf geachtet, dass sie immer in Gesellschaft von Artgenossen sind. Wenn ein Tier verhaltensauffällig ist, also zum Beispiel alleine in der Ecke sitzt und struppiges Fell hat, wird es vom Tierarzt untersucht, von denen es in unserer Einrichtung vier gibt.

Was ich bedenklich finde, sind die Haltungsbedingungen in Nicht-EU-Ländern (vor allem die hygienischen), wo es keine einheitlichen Standards gibt. Wenn Tierschützer dagegen protestieren, kann ich das verstehen.

  1. Tierexperimentatoren sind unmoralische Bestien, die es genießen Tiere zu quälen

Ich mag Tiere, und finde das keineswegs paradox. Ich hab auch das Gefühl, dass Tiere mich mögen. Ich empfinde mich nicht als unmoralischen Barbaren und meine Freunde tun das auch nicht. Meine Kollegen mögen ebenfalls Tiere und es sind alles sehr nette, freundliche und gebildete Menschen, die zum Teil eigene Haustiere haben, und die im Gegensatz zu Tierschützern noch niemandem körperliche Gewalt angedroht haben.

Es kommt auch durchaus vor, dass ein Tierexperimentator sich zu Beginn der Versuche erst mal eine halbe Stunde mit seinen Tieren beschäftigt, und mit ihnen spielt, damit sich die Tiere an die Person gewöhnen. Insbesondere Ratten sind meist sehr zahm und zutraulich.

Tierversuche sind im deutschen Tierschutzgesetz stark reglementiert. Wir dürfen nur die Versuche machen, für die wir die Genehmigung erhalten haben. Diese Versuche laufen nach einem strikten Plan ab, um sie vergleichen zu können. Dabei wird darauf geachtet, die Tierzahlen so gering wie möglich aber so groß wie nötig zu halten, um statistische Aussagen über die Resultate machen zu können. Wir arbeiten sehr effizient und können die Variation zwischen Messungen und somit die Zahl benötigter Tiere auf ein Minimum reduzieren.

Grundsätzlich bin ich dafür, auf Tierversuche zu verzichten, sofern wir aussagekräftige Alternativen haben. Das wird allerdings in absehbarer Zeit nicht der Fall sein. Was wir machen rechtfertigen wir damit, dass wir menschliches Leid verringern wollen, dass wir verstehen wollen wie Krankheiten entstehen, und dies nutzen wollen, um sie zu bekämpfen.

Die Menschenverachtung und selektive Wahrnehmung extremer Tierschützer

Ich finde es äußerst befremdlich, wenn die Gründerin von PETA Sätze, wie: „Die Menschheit ist wie ein Krebsgeschwür gewachsen. Wir sind der größte Pesthauch auf diesem Planeten“ sagt 1. Dadurch entsteht ein verzerrtes Verhältnis zwischen der Wertschätzung menschlichen und tierischen Lebens. Ich als Biologe bin der Meinung, dass ich meiner eigenen Spezies am nächsten stehe, und dass mir deren Erhaltung am Wichtigsten ist. Offenbar sehen das extreme Tierschützer anders und stellen das Tier höher als den Menschen, Einige gehen sogar so weit, dass sie Gewalt an Menschen legitimieren. Wie kann man nur an einer solch zweifelhaften und fanatischen Ideologie festhalten, die Gewalt an Menschen rechtfertigt?

Dazu kommt die selektive Wahrnehmung von Tierschützern, die sich furchtbar über Tierversuche oder in Deutschland aufregen, nicht aber in Indien oder China, wo die Bedingungen für Versuchstiere erheblich schlechter sind. Auch kann ich nicht verstehen, dass man sich unglaublich darüber aufregen kann, einen Hund im Park an die Leine nehmen zu müssen, aber dann mit einem Achselzucken zu reagieren wenn in Syrien oder Nigeria hunderte von Menschen massakriert werden.

Ich verstehe die Skepsis und Vorbehalte gegenüber Tierversuchen. Trotzdem halte ich Tierversuche angesichts der Notwendigkeit neuer Medikamente und Therapien in der Medizin für notwendig. Man kann darüber diskutieren, und ich habe noch keinen Forscher kennengelernt, der nicht bereit gewesen wäre darüber zu sprechen. Aber einem Tierexperimentator mit Gewalt zu drohen und im die Menschenwürde abzusprechen geht deutlich zu weit, und sollte aufs Schärfste verurteilt werden.


1http://www.welt.de/debatte/article113460989/Wenn-militanter-Tierschutz-menschenfeindlich-wird.html